Im September dieses Jahres jährte sich das Verschwinden der 43 Studenten, die in der mexikanischen Stadt Inguala entführt worden waren, zum dritten Mal. Damals wurden die Studenten des Landstudienkolleg von Ayotzinapa, das sich durch den Kampf für einen sozialen Wandel zugunsten schwächerer Bevölkerungsteile auszeichnet, laut offiziellen Angaben von Polizisten verschleppt und an die kriminelle Drogenbande Guerreros Unidos übergeben. Demnach wollten die Lehramtsstudenten Ende September 2014 Spenden sammeln und für die Verbesserung der sozialen Bedingungen bei einer Kundgebung der Frau des Bürgermeisters protestieren. Das Bürgermeisterpaar Ingualas selbst soll der Drahtzieher des grausamen Verbrechens gewesen sein. Das Paar soll zudem enge Verbindungen zu Drogenkartellen gepflegt haben und wurde kurz nach dem Verschwinden der Studenten festgenommen. Das zumindest ist die offizielle Version der mexikanischen Regierung. Doch nach fast drei Jahren sind die Zweifel an dieser Version des Tathergangs groß. Für unabhängige Ermittler ist vor allem die Rolle des mexikanischen Militärs, das seit 2006 eigentlich gegen die großen Drogenkartelle kämpfen soll, von großem Interesse. Dieses soll nämlich auch an der Entführung beteiligt gewesen sein, was die mexikanische Regierung trotz vorliegender Beweise bis heute jedoch vehement bestreitet. Weitere Ermittlungen in diese Richtung wurden daher kategorisch unterbunden und die besagten Soldaten durften zur Entführungsnacht bis heute nicht befragt werden.
Dieser Kriminalfall ist eines der berühmtesten Beispiele des Versagens der mexikanischen Justiz und kann wohl als Symbol der Unfähigkeit des Staatsapparats im unüberschaubaren Chaos des Anti-Drogenkrieges gesehen werden. 2006 hatte der damalige Präsident des Landes Felipe Calderón den Kampf gegen die Kartelle mit folgenden Worten eröffnet: „Wir werden entschieden gegen diejenigen vorgehen, die uns herausfordern wollen. Niemand wird sich über das Gesetz stellen. In meiner Amtszeit wird es keine Straflosigkeit geben.“ Doch elf Jahre nach diesem Versprechen sieht die Realität in Mexiko anders aus. Rund 98 Prozent aller Straftaten werden in Mexiko nicht aufgeklärt. Der Staatsapparat und seine Polizei sind von Korruption durchzogen und finden bei der mexikanischen Zivilbevölkerung so gut wie kein Vertrauen mehr. Viele der Sicherheitskräfte stehen selbst auf der Lohnliste der großen Drogenbosse und gelten im Allgemeinen als brutal und gefährlich. Zudem leben Staatsbedienstete, die sich öffentlich gegen den Drogenhandel stellen, heute gefährlicher denn je und werden häufig selbst Opfer von Gewalttaten. So wurde zum Beispiel die junge Bürgermeisterin Gisela Mota nur einen Tag nach ihrer Amtseinführung von Auftragsmördern in ihrem eigenen Haus erschossen. Die 33-Jährige wollte sich offensiv und mutig gegen den Drogenhandel in ihrer rund 85 Kilometer von Mexiko-Stadt gelegenen Kleinstadt einsetzen.
Der Fall Mota ist leider kein Einzelfall. Die Regel lautet, wer sich wehrt, bezahlt mit seinem Leben. Das drückt sich auch durch die erschreckenden Gewaltraten im Zentralamerikanischen Staat aus. Laut einer Studie ist die Mordrate in Mexiko eine der höchsten der Welt und wird nur noch von der Mordrate im kriegsgebeutelten Syrien übertroffen. Demzufolge nehmen die Gewaltauswüchse der Drogenkartelle mittlerweile schon bürgerkriegsähnliche Zustände an. Bis Juni dieses Jahres wurden in Mexiko schon 9916 Morde gezählt. Eine enorme Steigerung von 29,5 Prozent im Vergleich zum gleichen Zeitraum im vorausgegangenen Jahr. 2016 wurden in Mexiko schätzungsweise 23.000 Menschen getötet. Eine Zahl, die angesichts der 867 verübten Tötungsdelikte in Deutschland im selben Jahr, unvorstellbar hoch erscheint. Der Krieg gegen die Drogen und die Militarisierung des Konflikts haben also nicht dazu beigetragen, die Kartelle zurückzudrängen und die Situation im Land zu deeskalieren. Ganz im Gegenteil die Maßnahmen scheinen den Konflikt nur noch weiter zu befeuern und der Drogenhandel hat Mexiko auf allen Ebenen fest im Griff. Doch obwohl 2016 das bisher blutigste Jahr für Präsident Peña Nieto war, behält er seine Strategie im Anti-Drogenkrieg weiter bei.