Mehr als 10 Jahre ist es her, dass der damalige mexikanische Präsident Felipe Calderón im Kampf gegen den Drogenhandel den mächtigen Kartellen den Krieg erklärte. Seitdem versinkt das Land in einer nicht enden wollenden Welle von Gewalt. Täglich sterben Menschen bei Gefechten zwischen Militär und Kartellmitgliedern sowie bei Kämpfen zwischen den Kartellen untereinander. Als Ursache für den Konflikt wähnte man bisher vor allem ebenjene Kriegserklärung Calderóns, aber wie zwei mexikanische Forscher nun herausgefunden haben, wurden die Grundlagen dafür schon viel früher gelegt.
Guillermo Trejo ist Professor für Politikwissenschaften an der US-Universität Notre Dame, seine Kollegin Sandra Ley arbeitet im Zentrum für wirtschaftswissenschaftliche Forschung und Lehre in Mexiko-Stadt. Zusammen veröffentlichten sie vor kurzem einen Bericht, indem sie den Ursachen der aktuellen Gewalt in Mexiko auf den Grund gehen. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass sich die Kriminalität in Mexiko in den 1990er-Jahren veränderte.
Bis zu Beginn der 1990er koexistierten die damals schon aktiven Drogenkartelle in Mexiko weitestgehend in Frieden. Doch dann veränderte sich mit dem Beginn des demokratischen Wandels im Land die Situation. Hierzu muss man wissen, dass der mexikanische Partido Revolucionario Institucional (PRI) damals als Quasi-Staatspartei regierte. In allen Bundesstaaten stellte der PRI den Gouverneur sowie auf nationaler Ebene den Präsidenten. Die Partei besetzte auch alle Spitzenpositionen in Regierung, Parlament und dem Rechtssystem. So gut wie alle Behörden hatte der PRI fest in der Hand. Doch die Macht der Partei begann zu bröckeln.
1989 gewann im Bundesstaat Baja California mit dem Partido Acción Nacional (PAN) zum ersten Mal überhaupt eine Oppositionspartei die Wahl. In den folgenden Jahren konnten der PAN und der Partido de la Revolución Democrática (PRD), die andere große Oppositionspartei, diesen durchschlagenden Erfolg auch in anderen Bundesstaaten wiederholen. Vielerorts war die Macht des PRI durchbrochen und damit änderte sich auch die Situation für die Drogenkartelle. Zuvor hatten sie mit PRI-Politikern zusammengearbeitet und sich in den verschiedenen Behörden, vor allem innerhalb der Polizei, zu ihrem Schutz Informationsnetzwerke aufbauen können. Doch die neuen Gouverneure stellten die Beziehungen zwischen Politik und Kartellen auf den Kopf. Sie tauschten einen Großteil des Personals der Staatsanwaltschaft und der Polizei aus, auch hochrangige Mitarbeiter waren davon betroffen.
Die Kartelle hatten den Großteil ihrer Kontaktmänner in den Behörden verloren. Also fingen sie an, selbst für ihren Schutz zu sorgen und stellten eigene bewaffnete Gruppen auf. Wenn sie ihr eigenes Territorium erfolgreich schützen konnten, fingen sie zunehmend auch damit an, die Gebiete von rivalisierenden Kartellen zu besetzen. Die einfache Verfügbarkeit von Waffen verschlimmerte die Situation noch, es kam zu immer mehr Auseinandersetzungen zwischen den bewaffneten Flügeln der Kartelle. Laut Trejo und Lay hatten die mexikanischen Bundesstaaten, in denen in den 1990ern ein Oppositionspolitiker Gouverneur wurde, mit den größten Gewaltwellen zu kämpfen. Der Fakt, einen Oppositionspolitiker als Gouverneur zu haben, hätte zwischen 1995 und 2006 zu bis zu 80 Prozent mehr Gewalt im jeweiligen Bundesstaat geführt.
Trejo und Lay führen mehrere Beispiele an, die diese These stützen. Die Wahl des Oppositionspolitikers Appel zum Gouverneur 1989 führte zur Militarisierung des Tijuana-Kartells. Die Niederlage des PRI im Bundesstaat Jalisco 1995 ermutigte das Sinaloa-Kartell dazu, einen bewaffneten Flügel aufzubauen. In Michoacán führte die Niederlage des PRI zum raschen Aufstieg der Zetas, des ehemaligen bewaffneten Flügels des Golf-Kartells, und der Familia Michoacana.
Die bewaffneten Flügel wurden somit oft zum eigentlichen Machtzentrum der Kartelle. Im schlimmsten Fall spalteten sie sich, wie die Zetas, vom Kartell ab und bildeten eine eigenständige kriminelle Organisation. So konnte diese bewaffneten Gruppen die führende Rolle im mexikanischen Drogenkrieg übernehmen.
Laut Trejo und Lay führte die Ausrufung des Drogenkriegs durch Calderón nur zu einer weiteren Verschlimmerung und Militarisierung der Situation. Doch die Ursprünge des Konflikts lagen da schon mehr als ein Jahrzehnt zurück. Die beiden Forscher nennen den demokratischen Wandel in Mexiko lobenswert, er sei unvermeidbar gewesen. Doch durch die Personalwechsel bei Staatsanwaltschaft und Justiz hätten die Gouverneure unabsichtlich die Grundlagen für die Zunahme der Gewalt gelegt.
Trejo und Lay geben auch Vorschläge für eine Neugestaltung der mexikanischen Sicherheitspolitik. Die Behörden sollten nicht die großen Kartellbosse ins Visier nehmen, sondern die bewaffneten Flügel der Kartelle. Die Ergreifung der „kingpins“ sei zwar medienwirksam, hinterlasse aber ein Machtvakuum innerhalb der Kartelle und führe nur zum Erstarken der bewaffneten Flügel. Die beiden fordern auch eine überparteiliche, von der Politik vollkommen unabhängige Justiz. Mexiko solle außerdem eine Stabilisierung der Lage herbeiführen, die nicht auf den Wechselbeziehungen zwischen Politikern und Kartellmitliedern basiere.