Für Medienschaffende ist Mexiko das gefährlichste Land der Welt: In diesem Jahr wurden bereits fünf Journalisten getötet. In den vergangenen zehn Jahren gab es 120 ermordete Berichterstatter zu beklagen.
Dementsprechend ist Mexiko auf der Liste der Pressefreiheit 2016, die von der Organisation Reporter ohne Grenzen herausgegeben wird, im Vergleich zum Vorjahr um einen Platz abgerutscht und belegt nun den Rang 149.
Aus Sicht der profilierten mexikanischen Enthüllungsjournalistin Ana Lilia Pérez liegt der Grund für diese erschreckende Bilanz vor allem in der Straflosigkeit. Wer einen Reporter bedroht, anfeindet oder gar tötet, muss in der Regel nicht mit Konsequenzen rechnen. Das gilt insbesondere für die noch immer mächtigen Drogenkartelle in Mexiko. Doch Pérez ist überzeugt, dass Journalisten nicht nur vom organisierten Verbrechen massiv unter Druck gesetzt werden. Auch auf staatlicher Seite gibt es viele, die kein Interesse an einer freien Presse haben und die Arbeit von Reportern extrem erschweren – oder unliebsame Berichterstatter ermorden lassen. Allerdings stecken auch hinter diesen Verbrechen oft Kartelle, denn staatliche Funktionäre, so Pérez, seien oft in kriminelle Machenschaften verstrickt. Sie selbst sei schon von Regierungsvertretern und Mitarbeitern von Staatsunternehmen bedroht worden. In ihrem soeben erschienen Buch „Kokainmeere“ beschreibt sie, wie Staat und Unternehmer mit dem organisierten Verbrechen zusammenhängen. Für den Kokainhandel im großen Stil spielen Häfen eine wichtige Rolle: Pérez erklärt, diese seien rechtsfreie Räume, die Drogenkartelle nutzten, um ihre Ware in alle Welt zu verschiffen. Die Kontrollen für den Seehandel seien zu schwach – der Kokainhandel sei auch in deutschen Gewässern und Häfen bestens organisiert.
Auch der Chefredakteur der Wochenzeitung „La Palabra“ Gil Rivera aus Acapulco und seine Mitarbeiter können ihrer Arbeit nur eingeschränkt nachgehen. In ihrer Stadt gab es seit Beginn dieses Jahres 400 Morde. Doch sowohl Drogenkartelle als auch Politiker verhindern die freie Berichterstattung über diese Gewalttaten. „Jeden Tag begeben sich Journalisten, die etwas schreiben, was Kartellen nicht gefällt, in die Gefahr, exekutiert zu werden“, erklärt Rivera. Deshalb müssen mexikanische Journalisten Kompromisse schließen zwischen Berichterstattung und Selbstschutz. Immer öfter heißt es in Mexiko: Selbstzensur statt freier Presse.
Ein Fall, der weltweit Aufmerksamkeit erregte, ist der der 43 verschwundenen mexikanischen Studenten. Sie alle besuchten die Landuniversität Ayotzinapa und wurden in der Nacht vom 26. auf den 27. September 2014 in der Stadt Iguala beschossen und verschleppt. Das Militär des örtlichen 27. Infanteriebataillons beobachtete alles, was in dieser Nacht geschah, griff aber nicht ein. Der Abschlussbericht einer internationalen Expertenkommission zu den Ereignissen, der im April vorgestellt wurde, macht deutlich, dass viele Fragen offen bleiben. Nach wie vor ist unklar, wer für die Verschleppung und Ermordung der Studenten verantwortlich ist.
Sicher ist jedoch, dass sich die Geschehnisse so, wie sie von der Staatsanwaltschaft und der Regierung dargestellt werden, nicht zugetragen haben können. Die Opfer wurden nicht – wie von offizieller Seite erklärt – auf einer nahegelegenen Müllkippe verbrannt. Diese Behauptungen wurden durch Beweise widerlegt. Zudem sollen die Geständnisse der angeblichen Täter unter Folter erzwungen worden sein.
Dass die von staatlicher Seite präsentierten Ermittlungsergebnisse nicht stimmen können, darüber haben Journalisten in Mexiko schon 2014 berichtet. Doch sie und ihre Quellen wurden bedroht – letztere sogar so sehr, dass diese ihre Aussagen änderten und die offizielle Version der Ereignisse unterstützten.
Mexikos Journalisten fordern angesichts ihrer sehr schwierigen Situation Solidarität auf internationaler Ebene. Morde an Journalisten dürfen nicht länger straflos bleiben – sonst wird der Gewalt nie ein Ende gesetzt.