Quantcast
Channel: Mexiko – Drogen Macht Welt Schmerz
Viewing all articles
Browse latest Browse all 163

Argentinien: Geplanter Einsatz des Militärs in Grenzregionen zur Bekämpfung des Drogenhandels löst Debatte aus

$
0
0

Pläne der argentinischen Regierung, an Grenzübergängen Soldaten einzusetzen, um gegen Drogenschmuggler vorzugehen, haben im südamerikanischen Land eine Debatte über die Rolle des Militärs im Kampf gegen den Drogenhandel ausgelöst. In einem im Juni geführten Interview mit La Nacíon sagte Argentiniens Verteidigungsminister Oscar Aguad, dass die Armee vor allem im Bereich der „logistischen und strategischen Überwachung“ die Sicherheitskräfte des Landes unterstützen würde. Clarín berichtete unter Berufung auf Quellen aus dem Verteidigungsministerium, dass die Behörden Radarsysteme der Luftwaffe nutzen wollten, um den argentinischen Luftraum besser kontrollieren zu können. Laut Infobae sollen die Streitkräfte zudem in den nördlichen Grenzregionen verstärkt Präsenz zeigen.

Argentinien ist bereits seit einigen Jahren ein wichtiger Transitstaat im internationalen Drogenhandel. Vor allem wegen seiner durchlässigen Grenzen nutzen kriminelle Gruppen das zweitgrößte Land Südamerikas und seine zahlreichen wichtigen Atlantikhäfen, um, häufig über Westafrika, Kokain nach Europa zu schmuggeln. Das Rauschgift wird dabei größtenteils aus dem nördlichen Nachbarstaat Bolivien, einem der drei lateinamerikanischen Länder, in denen Koka angebaut wird, über den Luft- und Landweg nach Argentinien eingeführt. Die mehr als 5.300 Kilometer lange Atlantikküste ist kaum zu überwachen. Ans Meer angebundene Städte wie Buenos Aires und Rosario haben sich längst zu wesentlichen Durchgangsstationen für Kokain, das für außerhalb Lateinamerikas gelegene Absatzmärkte bestimmt ist, entwickelt. Vor zwei Jahren attestierte das UNODC Argentinien im jährlich herausgegebenen World Drug Report, in der Rangliste der wichtigsten Transitländer für Kokainlieferungen nach Europa und Asien an fünfter Stelle zu stehen.

Für die Sicherung der Grenzen ist in Argentinien normalerweise die Gendarmería Nacional Argentina zuständig. Die Aufgabe der Armee ist es laut Gesetzgebung, das Land vor Bedrohungen durch andere Staaten zu beschützen. Ein möglicher Einsatz der Streitkräfte im Bereich der öffentlichen Sicherheit würde laut der argentinischen Regierung aber nicht im Widerspruch zur Legislatur stehen. In welchem Ausmaß nun Soldaten in Grenzregionen eingesetzt werden sollen, ist hingegen noch nicht bekannt. Infobae berichtete, dass Präsident Mauricio Macri bereits die Stationierung von 500 Soldaten im nördlichen Grenzgebiet angeordnet habe, weitere 3.500 sollten demnach in den nächsten Monaten dort postiert werden. Auf Nachfrage von InSight Crime wollten sowohl das Verteidigungsministerium als auch die Armee diese Informationen weder bestätigen noch dementieren.

Kritiker warnen vor einer Militarisierung der argentinischen Sicherheitspolitik und weisen auf die Situation in anderen lateinamerikanischen Staaten hin, in denen ähnliche Maßnahmen ebenfalls angewandt wurden, aber nicht zum Erfolg geführt haben. Die Regierung hingegen verteidigt die neue Strategie. Das Büro des argentinischen Kabinettschefs ließ verlauten, dass Brasilien, Mexiko, Kolumbien und zahlreiche weitere souveräne Staaten ebenfalls das Militär zur Bekämpfung von Drogenhändlern, Guerillas oder islamistischen Milizen benutzen würden. „Das nicht zu tun, würde bedeuten, hinter dem Rest der Welt zurückzufallen (…)“.

Die Regierung argumentiert auch, dass die Präsenz der Armee kriminelle Gruppen davon abhalten könnte, in armen Städten entlang der Grenze zu operieren, die durch den Drogenschmuggel besonders in Mitleidenschaft gezogen werden. „Der Einsatz des Militärs an der Grenze wird es uns ermöglichen, mehr Gendarmen auf der Straße einzusetzen und so die Sicherheitslage zu stärken und die Kriminalität zu bekämpfen“, sagten Quellen aus dem Verteidigungsministerium Infobae. Zahlreiche Experten sind allerdings anderer Meinung. Sie sagen, dass argentinische Soldaten für eine solche Sicherheitsstrategie keine Ausbildung erhalten hätten. Sie führen außerdem an, dass die Zuständigkeit für die innere Sicherheit bei der Gendarmerie liegen würde, und man in diesem Bereich deshalb nicht auf die Armee angewiesen sei. 

Kritik an den geplanten Maßnahmen der Regierung gibt es auch deshalb, weil ähnliche Strategien in anderen lateinamerikanischen Ländern gescheitert sind. In Mexiko konnte der vor zwölf Jahren begonnene „War on Drugs“ der Macht der Drogenkartelle bis jetzt kein Ende setzen. Seitdem das Militär zur Bekämpfung des Drogenhandels eingesetzt wird, hat die Gewalt nicht ab-, sondern zugenommen. Letztes Jahr erreichte die Zahl der Morde mit 29.168 einen neuen Rekordwert, die Armee wird zudem für zahlreiche Menschenrechtsverletzungen, außergerichtliche Tötungen und Entführungen verantwortlich gemacht. Dennoch wurde in Mexiko letzten Dezember der Einsatz der Armee im Landesinneren gesetzlich legitimiert.

Die Diskussion um den Einsatz der Streitkräfte an der Grenze wird aber vor allem davon geprägt, dass die Rolle der Armee in Argentinien ein sensibles Thema ist. Im 20. Jahrhundert putschte sich das Militär im südamerikanischen Land mehrmals an die Macht und regierte diktatorisch. Während der Zeit der Militärjunta von 1976 bis 1983 wurde ein System der Überwachung und des Staatsterrors aufgebaut. In einem „schmutzigen Krieg“ wurden systematisch Gegnerinnen und Gegner des Regimes verfolgt. Mobile Einsatzkommandos machten Jagd auf vermeintliche linke Oppositionelle. Sie wurden meist in geheime Lager gebracht, von denen es mehrere Hundert im ganzen Land gab. Monate-, manchmal jahrelang wurden sie ohne Prozess festgehalten und gefoltert, viele wurden ermordet. Sicherheitskräfte verscharrten die Leichen der Opfer an geheimen Orten in anonymen Massengräbern oder warfen sie von Flugzeugen aus in den Rio de la Plata. Etwa 30.000 Argentinier kamen ums Leben, rund eine halbe Million flüchtete während dieser Zeit ins Ausland.


Viewing all articles
Browse latest Browse all 163